Simone de Beauvoir (neu 11.21)

Simone de Beauvoir (1908-1986) ist eine der Frauen, die die Welt verändert hat. Die französische Schriftstellerin aus dem Kreis um Sartre und Lebensgefährtin des Nobelpreisträgers, selbst Dozentin für Philosophie, ist eine führende Repräsentantin des Existentialismus in der französischen Literatur (Trägerin des Prix Goncourt 1954). Die Lebensgeschichte dieser Frau, ihr Kampf um intellektuelle und sexuelle Freiheit prägt eine ganze Generation von Frauen (und hoffentlich auch Männern).

Im mehrbändigen autobiographischen Werk Les mémoires d’une jeune fille rangée (1958), Memoiren einer Tochter aus gutem Hause, erzählt de Beauvoir mit der ihr eigenen intellektuellen Redlichkeit aus der Kindheit und Jugend bis zum Ende ihres bereits mit zwanzig Jahren abgeschlossenen Philosophiestudiums. Die Loslösung der mit einem regen kritischen Verstand begabten Tochter von den Konventionen und Tabus ihres bürgerlich-katholischen Elternhauses stellt einen Modellfall existentialistischer Selbstbefreiung dar. Anders als die jüngerer Schwester Poupette, die der Konfrontation mit der elterlichen Ordnung leichten Sinns aus dem Weg geht, durchläuft Simone einen geistigen Entwicklungsprozess, der sie immer klarer hinter die Vorurteile und Unstimmigkeiten ihrer Umgebung blicken lässt. „Überall traf ich auf Zwang, jedoch nirgends auf Notwendigkeit”.

Die frühe Versenkung in die von der bigotten Mutter und dem patriotischen Vater sorgfältig zensierte Literatur, entführt ihren unzufriedenen, ungeleiteten Geist in weltferne Bezirke. Mit neun Jahren will das Mädchen Nonne werden, mit zwölf aber hat sie den „Glauben” endgültig verloren und durchschaut, dass „alles in allem vornehmlich Frauen zur Kirche gingen”. Mit fünfzehn steht der Entschluss fest, Schriftstellerin zu werden. Im Gymnasium und auf der Sorbonne schreitet sie zielbewusst von Prüfung zu Prüfung, von Diplom zu Diplom. Im letzte Studienjahr lernt Simone de Beauvoir Jean-Paul Sartre kennen.

In ihrer 1949 erschienenen populärwissenschaftlichen Untersuchung: Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht) schreibt Simone de Beauvoir, dass die Frau aus der Arbeiterschicht in der Arbeit wahrscheinlich nicht die Transzendenz erreicht wie die berufstätige Frau, und dass die Verkäuferin vermutlich die Ehe der Sinnlosigkeit ihrer Arbeit vorzieht. Zusammenfassend stellt sie fest, „dass sich in diesen Fällen die Unabhängigkeit nur dann erlangen lässt, wenn die ganze betroffene Gesellschaftsschicht nicht unterdrückt ist. Sie konzentriert sich jedoch nach wie vor auf das Individuum und dabei besonders auf die berufstätige Frau aus der Mittelschicht. Ihr idealistisches Beharren auf der Freiheit verstellt ihr auch zum Teil den Blick darauf, dass sie sich sowohl den dialektischen Materialismus als auch die Psychoanalyse in ihrer Untersuchung der Lage der Frau hätte zunutze machen können.

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Simone de Beauvoir (1908-1986).

In La force des choses (Der Lauf der Dinge), dem dritten Band ihrer Autobiographie, meint sie dann, sie würde eine materialistische Position einnehmen, wenn sie Le deuxième sexe neu schriebe… Sie bekennt ausserdem: Ich habe mich nie der Illusion hingegeben, die Lage der Frau ändern zu können. Sie hängt von der zukünftigen Entwicklung der Arbeitsverhältnisse der ganzen Welt ab, und sie wird nur um den Preis einer Umwälzung der gesamten Produktion wirklich zu ändern sein.” (Lisa Appignanesi)

Das philosophische Hauptwerk Jean-Paul Sartres: Das Sein und das Nichts (L’être et le néant, 1943) gilt als theoretisches Fundament des Existentialismus. Hier zeigt er auf, dass sich das menschliche Sein (das Für-Sich) von dem anderen Sein, den Dingen, Tieren, Sachen etc. (dem An-sich) durch seinen Bezug zum Nichts unterscheidet.

Hieraus erklärt sich auch die Fokussierung des Existentialismus auf die Themen Angst, Tod, Handeln und Verantwortung als elementar menschliche Erfahrungen, aber auch das Erleben von Freiheit bzw. Unfreiheit. Der Mensch versteht sich selbst nur im Erleben seiner selbst. Demnach bezieht sich der Existentialismus nicht mehr auf eine göttliche oder kosmologische Ordnung, sondern entwickelt seine Theorie vom Einzelnen aus. Dadurch wird eine religiöse Grundhaltung nicht abgelehnt (auch wenn dies häufig durch die Schriften Sartres intendiert wird), sondern der Glaube wird vielmehr selbst zum existentiellen Erleben.

Simone de Beauvoirs bedeutendster Beitrag zum Existentialismus findet sich in ihrem Werk Das andere Geschlecht (Le deuxième sexe), in dem sie die Situation von Frauen aus einem existentialistischen Blickwinkel analysiert. De Beauvoir erklärt darin: Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Davon ausgehend, dass es keine „weibliche Essenz“ gibt, untersucht Simone de Beauvoir, wie die Frau als „das Andere“ konstruiert wird, das „zur Immanenz verdammt“ ist.

In Le deuxième sexe tritt Simone de Beauvoir für die Gleichberechtigung der Frau ein. In der monumentalen, auf Biologie und Psychiatrie gestützten Studie, versucht die Autorin zunächst die Besonderheit der weiblichen Physis und Psyche zu charakterisieren; und dann, anhand reichhaltigen Materials aus Soziologie, Geschichte und Literatur, jenes Bild der Frau zu analysieren, das – jenseits aller Verherrlichung in Mythos und Gesetzgebung – durch Jahrhunderte hindurch konstant geblieben ist. Nicht die Natur hat die Frau zur Unselbständigkeit verdammt; die Frau als das „schlechthin Andere” ist ein Produkt der Zivilisation im weitesten Sinne – ihr ist dieses Los vom Manne zudiktiert worden.

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On ne naît pas femme: on le devient. Man ist nicht als Frau geboren: man wird es. Mit diesem markanten Satz eröffnet de Beauvoir das zweite Buch ihrer Abhandlung über Das andere Geschlecht und formuliert in diesem Zuge zweifellos eine der bekanntesten Passagen der philosophischen Literatur der Moderne, durch welche sie 1949 schlagartig weltweit bekannt wird. Die Schriftstellerin und Philosophin ruft in ihrem Essay Frauen also dazu auf, sich nicht mit ihrem als solchen deklarierten Schicksal abzufinden und bloss das zweite (frz. le deuxième) Geschlecht nach dem männlichen – vielmehr selbständig zu sein.

Selbständige, freiheitliche Frauen sind bis zum Beginn des neuen Zeitalters der Wasserfrau eher Ausnahmen in der neuzeitlichen Geschichte. Wenn vielleicht die Grosse Mutter und Göttin als Vorbild einst im Zentrum der Gesellschaft stand, so hat das jüdisch-christliche Abendland dieses Bild zurückgedrängt. Und also verblassen lassen oder als Zerrbild wie: Heilige Jungfrau Maria, doch Mutter eines Gottessohnes (sic!), verklärt und sinnentleert.

Neues Zeitalter?! Ab dem Epochenjahr 1938 steht die Sonne beim astronomischen Frühlingsbeginn (21. März) im Aquarius (im Wassermann oder besser: im Sternbild „Wasserfrau“). Wir nennen das Sternbild Wasserfrau, obgleich in ihm eher ein Penis (windschiefes Trapez mit aufgesetztem Dreieck), der überdies uriniert, gesehen werden kann. Das alles ist nur Ansichtssache. Astronomischer (nicht astrologischer) Fakt aber ist: Vorher wurde der sogenannte Frühlingspunkt mehr als 2000 Jahre lang im Sternbild Pisces (der Fische) gesehen. Es ist das Zeichen des jüdisch-christlichen Abendlandes. Nun, extrovertierte Christen kleben noch heute ein Fisch-Bild an die Rückseite ihres Autos, um so dem folgenden Fahrzeug ihre Gesinnung zu zeigen.

« Aucun destin biologique, psychique, économique ne définit la figure que revêt au sein de la société la femelle humaine ; c’est l’ensemble de la civilisation qui élabore ce produit intermédiaire entre le mâle et le castrat qu’on qualifie de féminin. Seule la médiation d’autrui peut constituer un individu comme un Autre. En tant qu’il existe pour soi, l’enfant ne saurait se saisir comme sexuellement différencié. Chez les filles et les garçons, le corps est d’abord le rayonnement d’une subjectivité, l’instrument qui effectue la compréhension du monde : c’est à travers les yeux, les mains, non par les parties sexuelles qu’ils appréhendent l’univers. Le drame de la naissance, celui du sevrage se déroulent de la même manière pour les nourrissons des deux sexes ; ils ont les mêmes intérêts et les mêmes plaisirs ; la succion est d’abord la source de leurs sensations les plus agréables ; puis ils passent par une phase anale où ils tirent leurs plus grandes satisfactions des fonctions excrétoires qui leur sont communes ; leur développement génital est analogue ; ils explorent leur corps avec la même curiosité et la même indifférence ; du clitoris et du pénis ils tirent un même plaisir incertain ; dans la mesure où déjà leur sensibilité s’objective, elle se tourne vers la mère : c’est la chair féminine douce, lisse élastique qui suscite des désirs sexuels et ces désirs sont préhensifs ; c’est d’une manière agressive que la fille, comme le garçon, embrasse sa mère, la palpe, la caresse ; ils ont la même jalousie s’il naît un nouvel enfant ; ils la manifestent par les mêmes conduites : colères, bouderie, troubles urinaires ; ils recourent aux mêmes coquetteries pour capter l’amour des adultes. Jusqu’à douze ans la fillette est aussi robuste que ses frères, elle manifeste les mêmes capacités intellectuelles ; il n’y a aucun domaine où il lui soit interdit de rivaliser avec eux. Si, bien avant la puberté, et parfois même dès sa toute petite enfance, elle nous apparaît déjà comme sexuellement spécifiée, ce n’est pas que de mystérieux instincts immédiatement la vouent à la passivité, à la coquetterie, à la maternité : c’est que l’intervention d’autrui dans la vie de l’enfant est presque originelle et que dès ses premières années sa vocation lui est impérieusement insufflée. » (Simone de Beauvoir, Le deuxième sexe 1. Extrait © Gallimard 1949. All rights reserved.)

Eine Handlungsmotivation und die uns Erwachsenen letztlich auch bewusst auferlegte Entscheidung ist die Macht des Geschlechts. Mit Vernunft ist hier leider wenig und nichts auszurichten; schon gar nicht mit emotionaler. Von Pascals „Logik des Herzens“ bis in die Gegenwart ist die Bedeutung des Emotionalen für die Wertphilosophie und Kulturtheorie vollkommen überschätzt worden. „Emotionale Vernunft“ geht von einem ganzheitlichen Beziehungszusammenhang zwischen Denken, Wollen, Fühlen und Handeln aus. Doch weder Denken, Wollen und Fühlen noch Handeln liegen auf derselben Ebene – es sei denn, man wolle das rein sprachliche Moment in unserer Existenz verneinen. Nur in der Sprachlichkeit wirken die Erkenntniskräfte des Denkens und Fühlens zusammen. (vgl. Rolf H. Meier, Macht des Geschlechts, 2011, Band 1, S. 41)