Männliche Sexualität

Was hier zählt, ist bestimmt nicht der Macho mit seinem stereotypen Imponiergehabe. Glücklicherweise sind nicht alle Männer gleich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Frauen von machohaftem Verhalten angezogen fühlen. Vielleicht sind Sie aber auch der Typ Frau, die einen Mann will, der mit Ihnen auf Augenhöhe agiert: und mit Ihrem Temperament sowie Ihrem doch gut entwickelten Selbstbewusstsein mithalten kann. Auch Sie sind zwar für einen Macho spannend – aber diese Beziehung kann auf Dauer nicht funktionieren, denn als wirkliche Frau werden sie sich nicht unterordnen. 

„Männliche Sexualität ist der Roman von Ausfahrt, Suche und Abenteuer. Promiskuität bei Männern mag vielleicht die Liebe entwerten, aber sie schärft das Denken. Promiskuität bei Frauen ist Krankheit, ständiger Identitätsverlust. Die promiskuitive Frau ist innerlich verderbt und unfähig zu klaren Vorstellungen. Sie hat die rituelle Integrität ihres Körpers zerstört. Dominante Männer zu einer wahllosen Ausbreitung ihres Spermas zu bringen, liegt ganz und gar im Interesse der Natur. Aber ebenso sehr zieht die Natur Nutzen aus weiblicher Reinheit. Selbst in der emanzipierten oder lesbischen Frau bleibt immer eine biologische Hemmung, die ihr zuraunt, den Geburtskanal sauber zu halten. Indem sie besonnene Zurückhaltung übt, schützt sie einen unsichtbaren Fötus. Vielleicht ist das der Grund für das archaische Grauen (keineswegs nur eine gesellschaftlich induzierte Angst), das viele ansonsten beherzte Frauen angesichts von Spinnen und anderen schnell krabbelnden Insekten befällt. Die Frauen halten sich bereit, weil der weibliche Körper ein Reservebecken ist, eine jungfräulich stille Wasserstelle, bereitgehalten für den Fötus. Männliche Verfolgung und weibliche Flucht sind nicht einfach nur ein Gesellschaftsspiel. Die doppelte Moral gehört vielleicht zu den organischen Gesetzmässigkeiten der Natur.“ (Camille Paglia, Sexualität und Gewalt oder: Natur und Kunst; München 1996, S. 85f)

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Das ist zu bedenken bei der Rolle von Mann und Frau im ewigen Spiel der Genderized Power: die Macht des Geschlechts beruht nicht zuletzt auf organischer Gesetzmässigkeit, die uns die Natur nicht umsonst geliehen hat.

„Die Ausfahrt des männlichen Geschlechts ist ein Kampf zwischen Identität und Vernichtung. Eine Erektion ist Ausdruck der Hoffnung auf Objektivität, auf die Macht, als Subjekt frei handeln zu können. Aber auf dem Gipfelpunkt seines Erfolgs zieht die Frau den Mann an ihren Busen zurück, saugt seine Energie auf und erstickt sie.“ (Ebd. S. 86)

„Wir partizipieren an der Unvereinbarkeit und Macht der Geschlechter und träumen vom grossen Frieden oder gar von der weiblichen Universalität, auf dass sie uns erlöse. Als Verführerin war und ist – damals wie heute – jede Frau immer auch Heilige und Hure, das heisst sie prostituiert sich für das einfache wie höhere Leben. So hart dieses Urteil auch klingen mag: es ist einfach und wahr. Die heilige Hochzeit mag dies als historische Tatsache belegen, auch wenn sie heute wie in Ägypten und Mesopotamien zumindest im Westen kaum mehr praktiziert wird.“ (Rolf H. Meier, Macht des Geschlechts; Band 3, S. 1498)

Der Kultfeier des Hieros gamos (griechisch: ιερός γάμος, ierós gámos), die Heilige Hochzeit, ist ein religiöser Ritus, der nach Art eines christlichen Sakramentes in den Religionen der bronzezeitlichen Kulturen des Orients und Europas von geradezu zentraler Bedeutung war.
Er ist aber heute weitgehend unbekannt. Vielleicht ist die später aus dem Kult degenerierte Tempelprostitution, die für Normalsterbliche eine kaum befriedigende Form der Teilhabe am Ritual der geschlechtlichen Vereinigung göttlicher Paare bot, ein Grund dieses Umstands.

Dabei war er auch Bestandteil etwa im sakralen Denken der Kelten: Kennzeichnet Samhain im Keltischen Kalender den Beginn des Winters und den Tod des Jahrskreis-Königs, so bedeutet Beltane der Beginn des Sommers. Und so wie Samhain ein Fest des Todes und der Toten und Ahnen ist, so ist denn Beltane ein Fest des Lebens, der Fruchtbarkeit, der Vereinigung, der Zeugung und des Sieges der Sonne und des Sommers über den Winter.
Beltane war so auch das Fest der grossen Vermählung, Heiligen Hochzeit oder Götterhochzeit (hieros gamos): der grossen Vereinigung von Himmel und Erde. Auf der Erde wurde dieser Kult vom jungen Jahrkönigspaar im geschlechtlichen Zusammenschluss auch öffentlich vollzogen.

Im vorderen Orient bedeutete der Ritus der „Heiligen Hochzeit“ eine rituelle
Vereinigung der Oberpriesterin und Königin mit dem angehenden Prinzen oder Priesterkönig. Und diese fand halböffentlich statt, in der Kuppe eines Hochtempels, der dem Sonnengott Marduk geweiht war. In Mesopotamien ist der geschichtliche Hintergrund noch in den assyrischen und babylonischen Städten zu finden. Zu den Aufgaben der Herrscherin oder des Herrschers gehörte die sakral-erotische Verbindung mit der Gottheit, ein Akt, der im heutigen, sonntäglichen Gottesdienst der Christen nicht auszudenken ist.

Eine ganz besondere Verbindungsaufnahme fand nur einmal im Jahr statt, indem das heilige Paar in dem Tempel zu Ehren des Hauptgottes auf der einsamen Höhe einer aus gebrannten Lehmziegeln errichteten Zikkurat die Heilige Hochzeit zum Segen und zur Fruchtbarkeit für Volk und Land vollzog. Wie sprach doch die Hohepriesterin ganz unverblümt zu ihrem „Wildstier“:

Für den Wildstier, für den Herrn habe ich mich gebadet,
Für den Herrn habe ich mich gebadet.
Wenn ich meine Lenden in seine zärtlichen Arme gebettet
Wenn er zum reinen Bette der Göttin kommt
Und er mir mit Milch und Sahne den Schoss glättet…

Wer wird mich, die Jungfrau pflügen

Meine Vulva und ihren wasserreichen Grund

Mich, die Königin, wer wird seinen stossenden

Stier hier festmachen?

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Rekonstruiertes Modell einer Zikkurat.

Im obersten Tempelteil fand die Heilige Hochzeit statt: die rituelle Vereinigung
der Oberpriesterin und Königin mit dem angehenden Prinzen oder Priesterkönig.

Insofern ist reine Sexualität seit jeher, ja Urzeiten das wohl einzig wahre Elixier, was unsere Geschlechter, Mann und Frau, Frau und Mann, beiderseits zum ewigen Leben erhält – mit oder ohne gesellschaftliche Zustimmung.

Sexualität und Leistung wurden dann leider zwar infolge einer fatalen Spaltung der ganzen Menschenstruktur unvereinbar. Ihr gesellschaftliches Hauptmittel ist die Unterdrückung der Geschlechtlichkeit des Kleinkindes und der Jugendlichen und sichtbares Zeichen das manifeste Suchverhalten vieler Jugendlicher und Erwachsenen. Die charakterliche Struktur des heutigen Menschen, der eine sechstausend Jahre alte patriarchalisch-autoritäre Kultur fortpflanzt, ist durch charakterliche Panzerung gegen die innere Natur und gegen die äussere gesellschaftliche Misere gekennzeichnet. (Wilhelm Reich, 1942, 1948, 1969)

Sexualität und Angst, Lust und Schmerz sind entgegengesetzte Funktionsrichtungen unseres körper-seelischen Organismus. Er reagiert grundsätzlich durch lustvolle Expansion und ängstliche Kontraktion. Wo aber spontane Entspannung wegen charakterlicher Panzerung nicht mehr möglich ist, stellen sich oft chronische Schmerzen oder schleichende wie auch akute Zusammenbrüche ein.

Die grosse sexuelle Revolution, die allein eine dauerhafte Basis für die Harmonisierung im Zusammenleben der Geschlechter abgeben könnte, hat noch nicht stattgefunden. Ihr stehen ökonomische Interessen, die mit der Ehe, Moral und Religion zusammenhängen und die nur langsam durch eine Verbesserung von Bildung und Bewusstsein für Mann und Frau abgebaut werden, entgegen. Das alte Dogma der (voreheli­chen) Keuschheit und der ehelichen Treue der Ehefrau ist ein gutes Beispiel für die überaus einseitige Art und Weise, wie konservative und machtbewusste Männer ihre „von Gott gegebenen Rechte“ ausüben.

Die von den Frauen wenn nicht immer unterstützte, so doch gebilligte Doppelmoral ist ein guter Nährboden für dieses Fehlverhalten. Zahlreiche Formen der Prostitution, das Halten oder Aushalten von Mätressen durch vermögende Männer sowie die Perversion sind aus einer solchen Gesellschaft nicht wegzudenken. Wie übrigens auch nicht der Krieg – der „ewige“ Kampf unter Männern wie der Krieg unter den Geschlechtern. An der Tagesordnung, die nur noch mühsam einmal pro Woche ihre christlichen Ideale hochhält, sind mittlerweile Pornographie und das Geschäft mit dem Sex. Dieses ist, selbst auch im Leben der Kinder und Jugendlichen, geradezu Gemeingut geworden – in der Rolle des Opfers und Täters. (Zitate aus Rolf H. Meier, Von der Steinzeit in die Gegenwart – auf der Spur von Revolutionsjahren. Eine neue Form der Geschichte. 2015/16, S. 187)