Auf der Spur von Revolutionen

Wir schreiben ein neues, modernes Geschichtsbuch in zwei Teilen mit dem Titel: Von der Steinzeit in die Gegenwart – auf der Spur von Revolutionen bzw. Revolutionsjahren. Jahresangaben spielen auch bei uns eine entscheidende Rolle. Doch nicht so, wie wir es von konventionellen historischen Berichten oder in der Schule vom Geschichtsunterricht her gewohnt sind. Wir fokussieren uns auf revolutionäre Ereignisse.

Dabei stossen wir auf die erstaunliche Tatsache, dass Revolutionen bevorzugt in bestimmten Jahren auftreten: z.B. 1848, aber auch 1968 oder 1788. Ist es Zufall dass sie alle mit einer Acht enden? Oder steckt da mehr dahinter? Nennen wir Revolutionsjahre vorerst einfach historische Sternjahre. Es sind mit anderen Worten Sternstunden, die uns alle persönlich und auch unser Umfeld nachhaltig verändern und die als solche in unserem Andenken bleiben.

An dieser Stelle gestatten wir uns eine, vielleicht „Revolution“ als historische Aktion klärende Bemerkung – ja wir möchten sie gleichsam an den Anfang der Geschichte stellen: Gewöhnlich macht sich der östliche wie der westliche Mensch ein falsches oder zumindest verzerrtes Bild von dem, was eine Revolution ist. Obgleich zwar, um zwei gute Beispiele zu nennen, die Industrielle Revolution (1788) ein Gemeinplatz ist, die Französische Revolution (1788/9-1799) aber mit Sicherheit eine echte politische Revolution mit durchaus konstruktiven Elementen. Sie hatte eine nachhaltige politische Wirkung, die Beseitigung des im Volk verhassten, weil elitären Ancien Régime des Adels, gehobenen Klerus und Bürgertums. Man wollte sich von ihnen nicht mehr ausbeuten lassen.

Dennoch hat diese mit der allerorts bekannten Parole Liberté, Egalité, Fraternité, was sich die Revolutionäre als ihr Erkennungszeichen auf die Fahnen schrieben, wenig und nichts zu tun. In Tat und Wahrheit wurde die Parole von einer in Frankreich aktiven freimaurerischen Geheimgesellschaft entlehnt, ohne dass die eigentliche Französische Revolution das Losungswort jemals auch wirklich eingelöst hätte.

Die Revolution vermag zunächst den auf dem Gottesgnadentum begründeten Absolutismus umzustossen, bewirkt damit einen grossen gesellschaftlichen Umsturz und begründet endlich ein Staatswesen, das sich zur Sicherung persönlicher Freiheit und politischer Gleichheit der Bürger bekennt. Die neuen Staatsformen, die aus dieser Leitidee entstehen, gipfeln am Ende im Prinzip der Volkssouveränität. So geht auch der moderne französische Staat auf die Revolution von 1789 zurück. Doch den auf einer echten demokratischen Verfassung abgestützten Staat sehen wir erstmals in der Amerikanischen Revolution 1788 verwirklicht. Die Idee einer modernen Demokratie als neue Staatsform im Westen setzt sich also nicht in Europa, auf dem Alten Kontinent durch, sondern tritt 1788 in als Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika in Kraft.

Insbesondere kam es in Frankreich nicht zu einer funktionsfähigen Demokratie – die im echten Sinn meinungsfrei und liberal wäre wie vielleicht jene in den USA oder gar in der vielzitierten direkten Demokratie der Schweiz. Direkte Demokratie heisst, dass die Stimmberechtigten nicht nur auf der Ebene der Gemeinde und höher mitentscheiden – über Ausgaben, Gesetze usw. -, sondern rechtskräftig auch Nein sagen und damit Problemlösungen kontrovers machen und verweigern können.

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Immanuel Kant (1724-1804).

Andere grosse Revolutionen mit weltweiter, wenn vielleicht auch historisch nicht so offen zutage tretender Auswirkung für den Alltag der Menschen sind auf vielen weiteren Kulturbereichen zu erwähnen. Im Umkreis des historischen Sternjahres 1788 beschliesst Immanuel Kant (1724-1804), deutscher Philosoph und grösster Denker seiner Zeit, mit der zweiten Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft, gleichzeitig mit seiner Kritik der praktischen Vernunft und der Urteilskraft seinen Kritizismus.

Damit ist er Urheber der ersten umfassenden philosophischen Revolution der Neuzeit; er vollbringt sie in den philosophischen Teildisziplinen Erkenntnistheorie, Ethik und Ästhetik. – Keine zehn Jahre zuvor ist Kant (allerdings noch ohne Erfolg) mit seiner Vernunftkritik, die allein schon durch ihren völlig neuen Ansatz des Philosophierens auf das akademische Denken revolutionierend wirkt, vor das philosophische Publikum getreten. Neben der Kritik der reinen Vernunft aus dem Jahre 1781 (17872) bilden die Kritik der praktischen Vernunft (1788) sowie die Kritik der Urteilskraft (1790) sein philosophisches Hauptwerk.

Weitere Beiträge Kants sind die Prolegomena (1783) und Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft (1793); seine letzte grosse Arbeit blieb unvollendet (Opus postumum, 1936). Kants Absicht bestand darin, in der dritten Kritik die Vermittlung zwischen Natur (Gegenstand der theoretischen Vernunft) und Freiheit (Gegenstand der praktischen Vernunft) zu leisten und so das Gebäude der kritischen Philosophie zu vollenden. Dieser Gedanke der Vollendung der Kantschen Systemarchitektur findet heute ausserhalb der Spezialforschung jedoch nur geringen Widerhall.

Die im Christentum überlieferte Lehre und Weltreligion dient als Ausgangspunkt, um weitere Anknüpfungspunkte zwischen Moral und Religion aufzufinden: Die Erbsündenlehre thematisiert das Problem, dass im Menschen eine Anlage zum Guten einem Hang zum Bösen ausgesetzt ist; die Figur Christus dient als Sinnbild eines moralisch vollkommenen Menschen; und die Idee der Kirche wird als „ethisches Gemeinwesen“ verstanden. – Historisch Interessierte wissen, warum und wozu das alles schief ging.

Nur dreissig Jahre nach Kant, im Bereich des historischen Sternjahres 1818, vollendet Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) die zweite Revolution der Denkungsart. Er ist es, der die Philosophie des Idealismus auf ihren Höhepunkt und zu ihrer Vollendung führt. Hegel geht als der bedeutendste Systematiker in die Geschichte der Philosophie des 19. Jahrhunderts ein.

Das Grundprinzip seiner Philosophie des absoluten Idealismus ist das lebendige Subjekt. Hegel versteht darunter das Ich, welches sich unendlich entfaltet und zugleich bei dieser Selbstentfaltung stets bei sich bleibt. Hegels Ich ist das absolute Sein, welches sich mit logischer Notwendigkeit zur Welt entwickelt. – Die Weltgeschichte bildet das Hauptthema der Hegelschen Philosophie. Nach Massgabe der Idee des absoluten Geistes und, im Gegensatz zur blossen Verstandesreflexion, mit der Methode des dialektischen begreifenden Erkennens durchdringt Hegel sämtliche Wissensgebiete: Logik bzw. Metaphysik, Natur- und Geistesphilosophie. Seine Hauptwerke sind die Phänomenologie des Geistes (1807), Wissenschaft der Logik (1812-1816), die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriss (1817) und Rechtsphilosophie (1821).

Sprachliche Kategorien sind, betont Bruno Liebrucks (Sprache und Bewusstsein, 6 Bände. 1964-70), ausnahmslos dialektisch. Demzufolge müssen Kant und Hegel, das heisst die erste und zweite Revolution der Denkungsart (Band 4 1968 und Band 5 1970), erst so konfrontiert werden, dass darin die Notwendigkeit dialektischen Denkens erscheint. Nach Liebrucks verbindet Dialektik alte Kulturen mit der Moderne. „Erst dann besteht Aussicht, dass der Zustand aufhört, in dem kein Mensch mehr die Geschehnisse versteht, weder die, die sie auslösen, noch die, die sie erleiden.”

Der zeitgenössische Philosoph Bruno Liebrucks (1911-1986) unterstreicht allerdings: Sprache ist Ausgangspunkt und Ziel alles menschlichen Verhaltens. Dagegen hat jede zweckmässige Handlung den Zweck ausserhalb ihrer selbst. Insofern ist dieser auch stets zu hinterfragen.

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Der wenig bekannte Frankfurter Liebrucks, Sohn eines Volksschullehrers, ist in der Praxis bzw. Tragweite seiner philosophischen Aussagen viel bedeutender als die der beiden berühmten Theodor W. Adorno (1903-1969) und Max Horkheimer (1895-1973). Kern ihrer Kritischen Theorie der Frankfurter Schule ist die ideologiekritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und historischen Bedingungen der Theoriebildung und eine damit vermittelte Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen.

Die Bezeichnung Kritische Theorie geht auf den Titel des programmatischen Aufsatzes Traditionelle und kritische Theorie von Horkheimer aus dem Jahre 1937 zurück. Es ist also ein Produkt des Epochenjahres 1938. Als Hauptwerk der Schule gilt die von Horkheimer und Adorno 1944 bis 1947 gemeinsam verfasste Essaysammlung Dialektik der Aufklärung. Sie knüpfen dabei an die Theorien von Hegel, Marx und Freud an. Ihr Zentrum war das schon 1924 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main eröffnete Institut für Sozialforschung (IfS).

Die Erfahrung des Nationalsozialismus und der Shoah („Zerstörung“, „grosse Katastrophe“: der systematische Völkermord) waren für die theoretischen und empirischen Arbeiten der Kritischen Theorie prägend. Die Vertreter der Kritischen Theorie, allen voran Adorno, gingen den Fragen nach, welche Auswirkung eine solche Katastrophe auf das philosophische Denken, Gesellschaftskritik und die Rolle der Vernunft habe. Nach Horkheimers und Adornos Tod repräsentierte vor allem Jürgen Habermas (den zu habilitieren sie noch abgelehnt hatten!) die Frankfurter Schule.

Als Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt setzte Theodor W. Adorno sich im Umkreis der 68er-Unruhen aktiv mit den aktuellen Forderungen der Studenten in dieser Zeit des Umbruchs auseinander. – Die gesellschaftliche Hierarchie beruht bekanntlich auf Autoritätsglaube, Disziplin, Zucht – zuletzt auf Gewalt. Wir denken dabei an militärische und staatlich legalisierte Gewalt der Polizei sowie an die heute überall präsente Macht des Geschlechts und Geldes, die Omnipotenz ihrer Verwalter.

Als dann aber Adornos Studenten, durch seine Vorlesungen, Vorträge, Schriften und Bücher, die sie lasen, zum „mündigen Denken“ erzogen als Mensch, der sein „Schicksal in der Realität real bestimmen kann, und das bedeutet eine Gestaltung, eine Einrichtung der Realität so, dass in ihr mündige Menschen leben können“, ihn selbst kritisierten, gegen ihn rebellierten (Studentinnen sollen ihn gar in der Vorlesung mit entblösstem Busen bedrängt haben), kurz im historischen Stern- und Revolutionsjahr 1968 in Frankfurt sein Institut besetzten – seinen Elfenbeinturm, in dem er sich wohl und bürgerlich behaglich fühlte -, rief Adorno die Polizei.

1969 stirbt er bei einem Ferienaufenthalt in der Schweiz (Sommer-Urlaub, Zermatt und Visp, Kanton Wallis; Herzinfarkt). Der junge Berner Arzt, der auf Pikett zu ihm gerufen wird – selbst aus gutem Haus (Bern Burger) und entsprechend ausgebildet – weiss nicht, was für eine Persönlichkeit da sterbend vor ihm liegt (hat auch später keine Ahnung) – wie der Autor dieses Blogs aus erster Hand (von diesem Arzt persönlich) weiss.

Mit bürgerlichem Name heisst Adorno Wiesengrund; Thomas Mann hat ihn im Musik-Roman Dr. Faustus, VIII. Kapitel, in der Figur des Wendell Kretzschmar verarbeitet: „Bei diesem Wort stotterte Kretzschmar heftig … das Werk, von dem er im besonderen spreche, die Sonate opus 111 … Das Arietta-Thema, zu Abenteuern und Schicksalen bestimmt … nicht anders skandiert als etwa: Himmelsblau oder Liebesleid oder … : Wie-sengrund … .”

Je komplizierter unser Alltag, desto grösser ist die Gefahr von Missverständnissen, welche unsere Zusammenarbeit und unser Zusammenleben empfindlich stören können. Damit wächst der Bedarf an Kommunikation; gravierende Missverständnisse dürfen nicht einfach sich selbst überlassen werden. Menschen sind vielmehr miteinander sprechende Wesen.

Und doch, wie der Frankfurter Philosoph an der Goethe-Universität Bruno Liebrucks (1911-1986) in der Vorrede zu Band 1 – 6 von Sprache und Bewusstsein (1964-70)gleich zu Beginn etwas sarkastisch und bitter sagt: „Politische Ereignisse und Maschinen laufen dem Menschen voran, das Anhängsel läuft hinterher. Atemlos. Es ist, als führe der Mensch nur noch im Kofferraum, der als Anhänger hinter einem Touristenomnibus von Robotern hinterherhüpft – als ich Gedächtnis. So fährt – entmenscht – nun der Mensch. Wird er noch einmal den Motor Maschine erobern? Sind Apparate sein neues Kleid? Kleider machen Leute.“

Im Konzert der Meinungsvielfalt bzw. der freien Medien in einem demokratischen Land spielen Radio und Fernsehen eine wichtige Rolle – auch in der Schweiz. Die Schweizerische Bundesverfassung fordert hier von den elektronischen Medien insgesamt, dass sie den Leistungsauftrag eines Service public erfüllen: Sie müssen zur Meinungsbildung, zur Kultur, Bildung und zur Unterhaltung beitragen und die Besonderheiten der Schweiz und die Bedürfnisse der Kantone berücksichtigen. In einer komplexer und immer segmentierter werdenden Welt hat so die öffentlich finanzierte Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) die Zusammenhänge aufzuzeigen, Ereignisse und Entwicklungen einzuordnen und zu kommentieren. Ihre Journalistinnen und Journalisten sollten kritisch sein und sich durch Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Professionalität für die Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt auszeichnen. Sie, die SRG, ist damit auch eine moderne Form der Geschichtsschreibung – die sie heute ebenso vermehrt als Hördokumente oder schriftlich im Internet anbietet (Service-public-Multimediahaus). Ebenso wie die Zeitungen, als Ergänzung zu Radio und Fernsehen.

Seit dem historischen Sternjahr 1998, dem Geburtsjahr des Smartphones, orientieren sich auch – weltweit – immer mehr via Internet auf ihrem portablen Online-Medium. Das Smartphone ist Teil des Alltags geworden. Wer sich in Bus und Bahn umschaut, sieht viele vertieft in Chat und Mails. Kaum ein Ort bleibt Handy-frei, oft auch nicht das Schlafzimmer und die Toilette. Es gibt Menschen, die das Internet oder Smartphones in problematischer Weise nutzen. Wenn etwa jemand bei Tag und Nacht ständig zum Smartphone greift, um Nachrichten zu beantworten, verändert das die Kommunikation mit der realen Umgebung und hat erhebliche Einflüsse auf das eigene Verhalten. Das Diagnose-Handbuch DSM-5 der American Psychiatric Association führt im Jahr 2013 zum ersten Mal Kriterien zur Diagnose einer Computerspielsucht auf.

Allerdings werden in den Medien Revolutionen oft falsch dargestellt oder dann negativ, weil an sich zerstörerisch. Das stimmt überhaupt nicht: es sind wie gesagt nachhaltige Veränderungen der Welt. Dabei berichten sie aber auch gerne über unechte Revolutionen. Wer hat nicht schon von der sogenannten Oktoberrevolution in Russland (vom 7. November 1917, nach alter russischer Zeitrechnung 25. Oktober) – oder der Revolution in Kuba (1956) gehört? Die Abschaffung des Zarentums war, wie sich spätestens unter der Schreckensherrschaft eines Stalin zeigte, noch keine nachhaltige Revolution. Aus Kuba wurde der echte Revolutionär – Che Guevara, vermutlich von bolivianischen Regierungstruppen getötet -, zum Idol revolutionärer Jugend in aller Welt. Was er, nicht Castro, mit Kuba vor hatte, hätte dort bestimmt eine echte Revolution verdient.

Ein weiteres Beispiel ist die Pseudorevolution eines Pol Pot im ehemaligen Königreich Kambodscha: der Einmarsch der Roten Khmer in Phnom Penh (1975). All das sind in unserem Sinne keine Revolutionen gewesen. Sie haben nicht viel mehr gebracht als die Zerstörung der momentanen politischen und wirtschaftlichen Strukturen – bestimmt keine wegweisende Veränderung der Lage, die für jene Länder, Regionen oder gar die Welt als Ganzes historisch relevant gewesen wäre.

GenozidPolPot

Zur Erinnerung: Pol Pots Dschungelkommunisten vollzogen den Bruch mit der Vergangenheit nach ihrer Machtergreifung 1975 mit grosser Brutalität und Radikalität. Laut Schätzungen – es gibt keine genauen Angaben – haben für seine maoistisch inspirierte Wahnvorstellungen und utopische Primitivideologie, Kambodscha aus dem internationalen Beziehungsgeflecht herauszulösen und einer völlig neuen Ordnung zum Durchbruch zu verhelfen, ein bis zwei Millionen Frauen und Männer in Kambodscha mit dem Leben bezahlt. Sie sterben während einer vierjährigen Herrschaft an Hunger, Entkräftung oder weil es keinerlei medizinische Versorgung mehr gab. Zwischen 200’000 und 400’000 Personen werden, als „unbelehrbare“ Gegner der „Revolution“ eingestuft, auf grausamste Weise umgebracht. Die Terrorherrschaft Pol Pots hat schreckliche Wunden und Narben hinterlassen, an denen das fernöstliche Land noch heute leidet.

Dasselbe gilt wohl auch für den Arabischen Frühling: Ausgehend von der „Revolution“ in Tunesien (seit dem 17. Dezember 2010) beginnen am 5. Januar 2011 die Unruhen in Algerien. Am 25. Januar 2011 kommt es in Ägypten zu Protesten, die schliesslich zu einem Umsturz führen, der mit einer Machtübernahme des Militärs verbunden ist. Übernimmt das Militär die Macht, so führt das selten zu nachhaltigen Lösungen. Im Zuge der Ereignisse kommt es auch in anderen arabischen Ländern zu Protesten, unter anderem protestieren Regierungsgegner im Jemen, Jordanien, Libyen, Bahrain und in Syrien. Was wir heute erleben müssen ist ein bis Juni 2014 Islamischer Staat im Irak und in Syrien: ISIS – eine seit 2003 aktive dschihadistisch-salafistische und jetzt weltweit aktive Terrororganisation. Weiter ein scheinbar endloser Krieg im mehr und mehr zerstörten Syrien, wobei wie zuvor  im Irak die USA, Grossmächte und weitere Parteien eine fatale Rolle spielen. Unglaubliches, begleitet von einer Flüchtlingskrise sondergleichen.

Die Araber haben nur eine Chance: sich religiös zu reformieren und endlich politisch zu einigen. Das heisst ihren lokalen Stolz zu besiegen und sich auf die ursprünglichen, allesamt in der Sonnenglut der Wüste gewachsenen und also für die Ewigkeit entstandenen Werte zu besinnen, die sich ausschliesslich um Leben und Tod kümmern, fern jedem falschen Bewusstsein und allenfalls verlorenen Stolz. Anderseits müssen wir auch unser schiefes Bild der verschleierten Frau gegenüber korrigieren – in extremis die Burka – die wirklich nur weiss (nicht schwarz) als Schutz vor Wüstenstürmen Sinn macht und so nachweislich schon in Urzeiten existierte (vgl. Rolf H. Meier, Macht des Geschlechts; Norderstedt 2010, Bd. 3, S. 1341f. Alle drei Bände enthalten über 500 Figuren und meist farbige Abbildungen).

Revolution (revolution, révolution, rivoluzione, revolución, revolução) ist somit allgemeine Bezeichnung für eine tiefgreifende Änderung – zum Beispiel in der Wirtschaft, Technik, Wissenschaft oder Kunst – auch für einen unumkehrbaren politischen Umsturz. Sie bedeutet eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Struktur, der politischen Organisation sowie der kulturellen Wertvorstellungen. Neue Grundsätze werden gefunden, die eine Aufhebung, Umbildung und Neuordnung der bisher als gültig anerkannten Gesetze bewirken. Innovation, erstmalige Erkenntnisse und Methoden leiten eine Neubewertung der bislang geübten Praxis und ebenso Neugestaltung ihrer Theorie ein. Insofern haben Revolutionen etwas durchaus Konstruktives an sich. Der negative Beigeschmack, den ihnen das konservativ-rechte politische Lager so gerne beimisst, sieht sie gewöhnlich allzu einseitig.

Es ist aber wahr: real erlebt haben Revolutionen für viele oft etwas Beängstigendes an sich. Wir denken da etwa an die „revolutionäre“ Gentechnik als effektiv für uns alle gefährliche Genmanipulation. Verfahren der Biotechnologie, die gezielte Eingriffe in das Erbgut (Genom) und damit in die biochemischen Steuerungsvorgänge von Lebewesen bedeuten, können verheerende Wirkungen haben. Menschen, seien sie noch so klug und kühn, ist es nicht vorbehalten, das Geheimnis natürlichen Lebens, dessen Wesen und Wert im Grunde niemand ganz kennt, gottähnlich zu manipulieren.